Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder - was gibt's Neues ?

Dipl.-Ing. Rainer Elschenbroich, Böblingen
[März 2001]

Die Diskussion um gesundheitliche Wirkungen elektromagnetischer Felder hält nach wie vor an, obwohl tausende von Studien in den letzten Jahren versucht haben, Klarheit zu schaffen. Die sich zum Teil widersprechenden Ergebnisse zeigen deutlich, dass dennoch immer noch ein großer Forschungsbedarf gegeben ist. Dies liegt unter anderem daran, dass man in der Klärung der zu Grunde liegenden Wirkmechanismen auch in den letzten Jahren nicht viel weiter gekommen ist. Dieser Beitrag soll einen aktuellen Überblick über neue Forschungsergebnisse bezüglich biologischer Effekte elektromagnetischer Felder geben. Für einen ausführlichen Übersichtsartikel zum Thema sei auf eine frühere Veröffentlichung [1] verwiesen.

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Niederfrequenz: "Nur" Reizwirkungen ?

Niederfrequente elektrische und magnetische Felder werden primär durch unser Stromversorgungsnetz und daran angeschlossene Verbraucher hervorgerufen, sei es eine benachbarte Hochspannungsleitung oder - oft viel intensiver wegen des geringen Abstandes - der Radiowecker oder die Lampe auf dem Nachttisch.

Wissenschaftlich anerkannt bei niederfrequenten Feldern sind bislang nur sogenannte Reizwirkungen (z.B. vorübergehende Beeinflussung des Sehvermögens), wie sie durch starke im Körper induzierte Ströme entstehen können. Im Zentrum des Diskussion stehen hier jedoch Effekte deutlich unterhalb der anerkannten Reizschwellen, die einen anderen Wirkungsmechanismus zur Ursache haben müssen. Vor allem über ein gesteigertes Krebsrisiko sowie neurovegetative Störungen wie z.B. Schlafstörungen und Depressionen wird viel diskutiert. Als zu Grunde liegender Mechanismus geht man bei diesen Effekten bislang von einer feldbedingten Hemmung der Synthese des körpereigenen Hormons Melatonin aus. Melatonin beeinflusst die Biorhythmik und kann auch krebshemmend wirken.

 

Melatonin und Polarisation des Magnetfeldes

Eine aktuelle Studie von Burch [2] bestätigt die Reduktion des Melatonin-Stoffwechselprodukts 6-OHMS um über 30 % bei Elektroarbeitern, die mehr als zwei Stunden einem Feld von über 0.2 µT ausgesetzt waren - eine Feldstärke, wie sie auch in 2 bis 3 % normaler häuslicher Umgebungen anzutreffen ist [3].

Interessant ist hierbei vor allem, dass eine Melatonin-Unterdrückung nur bei Arbeitern festgestellt werden konnte, die in Umspannwerken oder einer anderen Drei-Phasen-Umgebung arbeiten. Bei Arbeitern an einphasigen Anlagen war keine Veränderung nachweisbar. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass die bislang weitgehend unbeachtet gebliebene elliptische oder zirkulare Polarisation der Magnetfelder eine wichtige Rolle spielt.

Die Studie bestätigt eine frühere tierexperimentelle Untersuchung [4], nach der bezüglich der Beeinflussung des Melatoninstoffwechsels ein zirkular polarisiertes Feld bei 1.4 µT wirksam war, während ein linear polarisiertes Feld erst bei 5 µT einen Effekt zeigte. Der momentan gültige Grenzwert für magnetische Felder liegt laut Bundesimmissionsschutzgesetz übrigens bei 100 µT.

 

Krebs durch Aerosole statt durch Feld ?

Im Zusammenhang mit Hochspannungsleitungen wurde kürzlich eine ganz andere Theorie veröffentlicht [5][6]: Demnach ist denkbar, dass eine schädliche Beeinflussung des Menschen nicht durch Felder, sondern durch die Aufladung und damit Konzentrierung von Schadstoffpartikeln in der Luft verursacht wird. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte epidemiologische Studie unterstützt diese Hypothese; danach tritt Lungenkrebs überdurchschnittlich häufig bei Menschen auf, die innerhalb von 400 m Abstand zu einer Hochspannungsleitung wohnen. Das Erkrankungsrisiko hängt hierbei stark von der Windrichtung ab.

 

Kinder-Leukämien

Eine Analyse bereits durchgeführter Studien [7] kam zu dem Ergebnis, dass sich das Risiko für Kinder-Leukämien bei Magnetfeldern oberhalb 0.4 µT verdoppelt. Bisher nahm man im Regelfall die halbe Feldstärke als Wirkungsgrenze an, was im Regelfall zu nicht oder nur zu leicht erhöhten Risikofaktoren führte. Da Hochspannungsleitungen auch hier eine Rolle spielen, kann der oben genannte Effekt geladener Schadstoffpartikel als Ursache nicht ganz ausgeschlossen werden. Zumindest in zukünftigen Studien müssen weitere Parameter wie Windrichtung ebenfalls Berücksichtigung finden.

 

Weitere Effekte

Im Zusammenhang mit niederfrequenten Feldern wurden in letzter Zeit noch eine Reihe weiterer Effekte beobachtet [8]: So wurde bei beruflich exponierten Personen eine deutliche Zunahme neurovegetativer Störungen wie Appetitverlust, körperliche Ermüdung, Abnahme der Libido sowie Melancholie bis hin zu depressiven Tendenzen festgestellt. Die Ergebnisse beruhen auf der Selbsteinschätzung von 13 Personen sowie einer gleich großen Kontrollgruppe und gelten als statistisch signifikant.

Eine weitere Studie befasste sich mit Schlafstörungen durch niederfrequente Magnetfelder [9] und kam zu dem Schluss, dass sich eine Zunahme der Wachphasen sowie eine Reduktion und Verzögerung der Traumphasen ergibt, wenn man Versuchspersonen einem intermittierenden Magnetfeld (60 Hz, 28 µT, je 15 s ein und aus) aussetzt. Bei einer einem gleichmäßigen Feld ausgesetzten Gruppe sowie einer nicht exponierten Kontrollgruppe konnten keinerlei Beeinträchtigungen festgestellt werden.

Dies sollte für zukünftige Studien ein Hinweis sein, Lastschwankungen des Stromnetzes und die damit verbundenen Amplitudensprünge der Magnetfelder, wie sie vor allem im häuslichen Bereich auftreten, besser zu berücksichtigen als bisher.

 

Hochfrequenz: Nur thermische Effekte ?

Bei hochfrequenten Feldern sind bislang nur thermische Effekte wissenschaftlich zweifelsfrei anerkannt. Dies sind biologische Effekte, die durch eine Aufheizung des Körpergewebes durch entsprechend hohe Feldstärken verursacht werden. Bei älteren Mobilfunkhandies kann es hier durchaus zu Problemen kommen wie z.B. zu einer übermäßigen Erwärmung des Auges, da dieses wegen seiner geringen Durchblutung die Wärme schlecht abführen kann.

Nach wie vor strittig sind jedoch sogenannte athermische Effekte, die deutlich unterhalb der Schwelle für thermische Wirkungen liegen. Auch eine Vielzahl von Studien hat hier bislang wenig Licht in die Sache gebracht; vor allem, weil zwar etliche Effekte nachweisbar sind, aber vollkommen unklar ist, ob diese in irgendeiner Form gesundheitlich relevant sind.

 

Keine Hirntumore durch Handies - aber Augentumore

Zwei neue US-amerikanische Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Hirntumoren und der Verwendung von Mobiltelefonen [10].

Kritiker führen jedoch die sehr kleinen Fallzahlen von Vieltelefonierern sowie die überwiegende Verwendung analoger Handies ins Feld. Biologische Wirkungen werden überwiegend den periodisch gepulsten Aussendungen nachgesagt. Diese werden im europäischen GSM-Mobilfunkstandard sowie bei schnurlosen Telefonen nach DECT-Standard angewendet.

Eine Studie der Universität Essen [11] ergab jedoch ein um den Faktor 3 signifikant erhöhtes Risiko für Augentumore bei Handy-Nutzern. Da das Risiko für einen Augentumor jedoch lediglich bei 1:200 000 pro Jahr liege, besteht gemäß den Wissenschaftlern kein Grund zur Besorgnis.

 

Veränderung der Hirnströme

Eine Schweizer Studie [12] berichtet von der Veränderung von Hirnströmen durch gepulste elektromagnetische Felder, wie sie im Mobilfunk verwendet werden. 16 gesunde junge Männer wurden 30 Minuten lang einem solchen Feld in den frühen Morgenstunden ausgesetzt. Während der Exposition waren sie wach; anschließend folgte nochmals eine dreistündige Schlafperiode. Das Experiment wurde drei mal im Abstand von einer Woche wiederholt. Es erfolgte nach dem Doppelblind-Prinzip entweder die Bestrahlung der linken oder rechten Gehirnhälfte oder eine Scheinexposition (doppelblind besagt, dass weder die Probanden noch der Versuchsleiter wissen, ob das Feld eingeschaltet ist oder nicht). Es gab keine auffälligen Veränderungen subjektiver Parameter wie z.B. der Schlafqualität. Jedoch fanden sich Veränderungen in der Hirnstromkurve (Elektroenzephalogramm, EEG); hier ergaben sich Erhöhungen der Amplitude in zwei Frequenzbereichen.

Bereits vorher war eine Studie bekanntgeworden, bei der über ähnliche Effekte berichtet wird [13]. Eine gesundheitliche Relevanz lässt sich aus diesen Ergebnissen jedoch nicht ableiten.

Frühere Studien haben sich größtenteils auf die Untersuchung von EEG-Änderungen im Wachzustand bezogen. Es wurden in der Regel keine Beeinflussungen gefunden [14][15].

 

Störungen der Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke ist die natürliche Barriere zwischen Blut und Gehirnflüssigkeit, über die der Stoffwechsel durchgeführt wird. Damit wird das Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut geschützt. Seit Mitte der siebziger Jahre besteht bereits der Verdacht, dass elektromagnetische Felder die Funktion dieser Barriere stören könnten. Eine aktuelle Studie der Universität Münster verstärkt diese Annahme [16]. Getestet wurde die Durchlässigkeit einer biochemischen Nachbildung der Blut-Hirnschranke für Zucker. Nach zwei Tagen Bestrahlung wurde eine um 50 % erhöhte Durchlässigkeit gegenüber der unbestrahlten Probe nachgewiesen. Nach vier Tagen betrug die Differenz 100 %. Durch verschiedene Tests wurde vorher nachgewiesen, dass das Modell alle Eigenschaften einer echten Blut-Hirn-Schranke aufweist. Die Art der Bestrahlung war ein mit 217 Hz gepulstes 1.8-GHz-Signal, wie es bei E-Netz-Handies Verwendung findet.

Eine tierexperimentelle Studie der Universität Tokio, bei der Ratten über zwei bzw. vier Wochen einer HF-Strahlung ausgesetzt wurden, fand jedoch keinerlei Hinweise auf eine Beeinflussung der Blut-Hirn-Schranke [17]. Angewendet wurde eine gepulste HF-Strahlung, wie sie bei japanischen Mobiltelefonen Verwendung findet (1.4 GHz).

 

Chemische Ausdünstung bei Handies schlimmer als HF-Abstrahlung?

Manche Handy-Telefonierer klagen über gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Hautausschläge. Im schwedischen Arbeitsschutzinstitut wurde der Frage nachgegangen, ob hierfür nicht vielmehr chemische Ausdünstungen der Geräte verantwortlich sein könnten als die HF-Abstrahlung [18]. Messungen haben ergeben, dass bei Berührung mit Schweiß unter Einwirkung der Wärme der Haut dieselben Chemikalien austreten wie bei druckimprägniertem Holz - mit dem Unterschied, dass die Verwendung so mit Pestiziden behandelter Hölzer im Wohnbereich verboten ist. Diesbezüglich betroffene Personen mit Gesundheitsproblemen wurden symptomfrei, als sie ihr Handy in eine Plastiktüte steckten.

 

Mögliches Wirkungsmodell: Hitzeschockproteine

Eine mögliche Erklärung für die athermischen Wirkungen elektromagnetischer Felder ist die Bildung sogenannter Hitzeschockproteine. Zwei Studien haben den Einfluss gepulster elektromagnetischer Felder auf die Zellteilungsrate sowie die Empfindlichkeit des Herzens gegenüber Sauerstoffmangel untersucht [19]. Die jeweiligen Ergebnisse legen nahe, dass elektromagnetische Felder die Bildung von bestimmten Stressproteinen induzieren können, die insbesondere nach hitzebedingtem Stress auftreten. Eine Temperaturerhöhung spielte hier jedoch nachgewiesenermaßen keine Rolle.

 

Rinderstudien schaffen keine Klarheit

Zwei Untersuchungen zu Verhaltensauffälligkeiten und Gesundheitsschäden bei Rinderherden erbrachten keinen Zusammenhang mit der HF-Strahlung nahegelegener Mobilfunktürme [20]. Bei Milchleistung, Fruchtbarkeit und Melatoninausschüttung konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden; für Stress-Symptome gab es keine statistisch abgesicherten Hinweise. Allerdings waren sowohl die Häufigkeit des Wiederkauens als auch die Wiederkaudauer in den exponierten Gruppen hochsignifikant geringer. Eine Erklärung hierfür konnte nicht gefunden werden.

 

Fazit

Auch die Studien der letzten Jahre enthalten deutliche Hinweise darauf, dass elektromagnetische Felder unterhalb der gültigen Grenzwerte biologische Effekte hervorrufen können, deren gesundheitliche Relevanz jedoch ungeklärt ist. Bei hochfrequenten Feldern stehen vor allem periodisch pulsmodulierte Aussendungen, wie sie im Mobilfunk Anwendung finden, im Zentrum der Untersuchungen. Aussendungen anderer Art, die weder eine Dauerbelastung darstellen noch gepulste Aussendungen verwenden, scheinen im Vergleich zum Mobilfunk deutlich unkritischer zu sein.

Literatur

[1] Elschenbroich: Biologische Wirkungen von elektromagnetischen Feldern und Wellen; Teil 1: cq-DL 9/1996, S. 716-718 und Teil 2: cq-DL 10/1996, S. 792-797; auch im Internet unter http://www.elschenbroich.com

[2] Burch et al: Melatonin metabolite levels in workers exposed to 60-Hz magnetic fields: work in substations and with 3-phase conductors. J. Occup. Environ. Med. 2000; 42, S. 136-142

[3] nach Bundesamt für Strahlenschutz

[4] Kato / Shigemitsu: Effects of 50-Hz magnetic fields on pineal function in the rat. In: Stevens / Wilson / Anderson: The melatonin hypothesis. Breast Cancer and the Use of Electric Power. Batelle Press, Columbus, OH 1997, S. 337-376

[5] Elektrosmog-Report Nr. 4, April 2000, S. 3-4

[6] Newsletter der Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Nr. 2/3, Oktober 2000, S. 12

[7] Ahlbom et al: A pooled analysis of magnetic fields and childhood leukaemia. Br. J. Cancer 2000; 83: S. 692-698

[8] Elektrosmog-Report Nr. 4, April 1999, S. 4-6

[9] Graham / Cook in: Bioelectromagnetics 20/1999, S. 277-283

[10] Elektrosmog-Report Nr. 1, Januar 2001, S. 1-2

[11] c't Newsticker vom 17.1.2001 (http://www.heise.de) nach einer dpa-Meldung vom 15.1.2001; Stang et al: The possible role of radio-frequency radiation in the development of uveal melanoma. Epidemiology 2001; 12, S. 7-12

[12] Huber et al: Exposure to high-frequency electromagnetic field during waking affects human sleep EEG. NeuroReport 2000; 11, S. 3321-3325

[13] Borbély et al: Pulsed high-frequency electromagnetic field affects human sleep and sleep electroencephalogramm. NeuroSci. Lett. 275, 1999, S. 207-210

[14] Elschenbroich: Aktuelles zur biologischen Wirkung hochfrequenter Strahlung; cq-DL 9/1998, S. 700-70; auch im Internet unter http://www.elschenbroich.com

[15] Newsletter der Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Nr. 3, Dezember 1998, S.6

[16] Schirmacher / Winters et al: Electromagnetic fields (1.8 GHz) increase the permeability to sucrose of the blood-brain-barrier in vitro. Bioelectromagnetics 2000; 21, S. 338-345

[17] Tsurita et al: Biological and morphological effects on the brain after exposure of rats to a 1439 MHz TDMA field. Bioelectromagnetics 2000; 21, S. 364-371

[18] die tageszeitung, wirtschaft und umwelt, 8.5.2000, S. 7

[19] Elektrosmog-Report Nr. 11, November 1999, S. 1-2

[20] EMF-Monitor Nr. 4, Dezember 2000, S. 1 u. 5-7

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